Wednesday, December 19, 2012

Die Insel Utröst

1001 stories


Auf Vaerö, nahe bei Röst, wohnte einst ein armer Fischer, der hieß Issak. Er hatte nichts als ein Boot und ein paar Ziegen, die seine Frau kümmerlich mit Fischabfällen fütterte und dem Gras, das sie auf den Bergen sammeln konnten; aber seine ganze Hütte hatte er voll hungriger Kinder. Trotzdem war er immer zufrieden mit dem, was Gott ihm bestimmt hatte. Das einzige was ihn plagte, war, dass er mit seinen Nachbarn nie recht in Frieden leben konnte.
Der war ein reicher Mann und bildete sich ein, er müsse alles besser haben als solch ein Bettelsack wie Isaak, und deshalb wollte er Isaak weghaben, weil er sich den Anlegeplatz vor seiner Hütte aneignen wollte. Eines Tages war Isaak ein paar Meilen aufs Meer hinausgefahren, um zu fischen; da kam auf einmal Nebel herauf, und in einem Augenblick brach ein so gewaltiger Sturm los, dass er all seine Fische über Bord werfen musste, um das Schiff leichter zu machen und sein Leben zu retten. Trotzdem war es sehr schwer, das Schiff flottzuhalten; aber er wand seinen Kurs geschickt zwischen und über die Sturzwellen, die jeden Augenblick bereit waren, ihn hinunterzuschlingen. Aber die Zeit verging, und der Sturm und der Nebel wurden immer ärger.
Da fing er an zu begreifen, dass er dem Meere zusteuerte oder dass der Wind sich gedreht hatte, und schließlich merkte er, dass es wirklich so war, denn er fuhr und fuhr und sah doch nirgends Land. Auf einmal hörte er einen hässlichen Schrei vom Steven her, und er glaubte schon, das sei der Draug, der ihm den Leichenpsalm singe. Aber er bat zu Gott für seine Frau und Kinder, denn er meinte, sein letztes Stündlein sei gekommen. Wie er so saß und betete, erblickte er undeutlich etwas Schwarzes, aber als er näher kam, waren es nur drei Seeraben, die auf einem Treibholz saßen – und witsch war er vorbei. So fuhr er lange Zeit, und er wurde durstig und so hungrig und müde, dass er sich gar nicht zu helfen wusste, meist saß er mit dem Steuerruder in der Hand und schlief.

Aber auf einmal fuhr das Boot auf den Strand und stand stille. Da machte Isaak wohl die Augen auf. Die Sonne brach durch den Nebel und schien über ein schönes Land. Die Hügel und Berge waren grün bis hinauf zum Gipfel, und Äcker und Wiesen lagen dazwischen an den Abhängen, und er glaubte einen Duft von Blumen und Gras zu verspüren, so süß, wie es ihm noch nie vorgekommen war. „Gott sei Dank, jetzt bin ich geborgen, das ist Utröst!“ ran ziehen sagte er sich selber.
Gleich vor ihm lag ein Gerstenacker mit Ähren so groß und voll, wie er niemals Ähnliches gesehen hatte, und durch den Gerstenacker ging ein schmaler Weg hinauf zu einer grünen torfbelegten Erdhütte, die über dem Acker lag; auf dem Dach der Hütte weidete eine weiße Ziege mit vergoldeten Hörnern, und ein Euter hatte sie, so groß wie die Kuh. Vor der Tür saß ein kleiner blaugekleideter Mann auf einem Holzstuhl und schmauchte sein Pfeifchen; er hatte einen Bart, so groß und lang, dass er ihm weit auf die Brust hinunterreichte. „Willkommen in Utröst, Isaak“, sagte der Mann. „Grüß Gott, Vater“, sagte Isaak. „Kennt Ihr mich denn?“ „Das kann schon sein“, sagte der Mann, „du willst wohl heute hier übernachten?“ „Das wäre schön, Vater“, gab Isaak zurück. „Es ist arg mit den Söhnen, sie können keine Christen riechen“, sagte der Mann darauf. „Bist du ihnen nicht begegnet?“ „Nein, ich bin nichts begegnet, als drei Seeraben, die saßen auf einem Treibholz und krächzten“, gab Isaak zur Antwort. „Ja, das waren meine Söhne“, sagte der Mann und klopfte seine Pfeife aus, „nun geh einstweilen hinein; ich denke, du wirst hungrig und durstig sein.“ „Ich bin so frei, Vater“, sagte Isaak. Aber als der Mann die Tür aufmachte, war es drinnen so schön, dass Isaak von einem Erstaunen ins andere kam. Der Tisch war mit den prächtigsten Gerichten gedeckt, Rahmschüsseln und Rotfisch und Wildbret und Leberknödel mit Sirup und Käse dazu, ganze Haufen von Kringeln, Branntwein und Bier und Met und alles Gute. Isaak aß und trank, so tapfer er konnte, und doch wurde sein Teller nie leer, und soviel er auch trank – das Glas war immer gleich voll. Der Mann, der aß nicht und sagte auch nicht viel; aber auf einmal hörten sie Schreien und Lärmen draußen, und da ging er hinaus.

Nach einer Weile kam er wieder herein mit seinen drei Söhnen; Isaak zitterte innerlich, als sie zur Tür hereinkamen, aber der Mann musste sie wohl zur Ruhe gebracht haben, denn sie waren sehr freundlich und liebenswürdig und sagten, er solle doch sein Tischrecht gebrauchen und sitzen bleiben und mit ihnen trinken, denn Isaak war aufgestanden und wollte vom Tisch weggehen; er sei satt, sagte er. Aber er gab nach, und sie tranken Zug um Zug, und zwischenhinein nahmen sie einen Schluck Bier oder Met; gute Freunde wurden sie und verstanden sich recht gut, und sie sagten, Isaak solle mit ihnen zum Fischen hinausfahren, damit er doch etwas zum Mitnehmen habe, wenn er wieder heim wolle. Die erste Ausfahrt, die sie machten, geschah in einem gewaltigen Sturm. Einer von den Söhnen saß am Steuer, der zweite vorn und der dritte in der Mitte, und Isaak musste mit dem großen Schöpfkübel hantieren, dass er von Schweiß nur so troff. Sie segelten, als wären sie toll. Nie refften sie die Segel, und wenn das Boot voller Wasser war, tanzten sie oben auf den Wellenkämmen und fuhren wieder hinunter, dass das Wasser am Heck hochspritzte wie ein Wasserfall. Nach einer Weile legte sich das Unwetter, und sie fingen an zu fischen. Da war es so voller Fische, dass das Senkblei nicht durch die Berge von Fischen unter ihnen dringen konnte. Die Söhne von Utröst zogen Stück um Stück in die Höhe; Isaak verstand sich auch gut auf die Kunst, aber er hatte sein eigenes Fischzeug mitgenommen, und jedes Mal, wenn ihm ein Fisch anbiss, kam er wieder los, und schließlich hatte er keine Gräte gefangen. Als das Boot voll war, fuhren sie wieder heim nach Utröst, und die Söhne richteten die Fische zu und legten sie auf den Ständer. Währenddessen klagte Isaak dem Vater, dass er so wenig Glück gehabt hatte. Der Mann versprach, es solle ihm das nächste Mal besser gehen, und gab ihm ein paar Angeln, und als sie das nächste Mal zum Fischen ausfuhren, zog Isaak ebenso viel Fische auf wie die anderen, und als sie heimkamen, fielen drei Ständer voll Fische auf sein Teil.

Schließlich bekam Isaak Heimweh, und als er fortfahren wollte, verehrte ihm der Mann ein neues Fischerboot voll Mehl und Tauzeug und andere nützliche Dinge. Isaak dankte vielmals, und der Mann lud ihn ein, er solle doch wieder kommen, wenn die Schifffahrt beginne, er wolle mit einer Ladung im zweiten Stevne nach Bergen, und da könnte Isaak mitfahren und selber dort seine Fische verkaufen. Isaak war gern bereit und fragte, was er für einen Kurs halten soll, wenn er wieder nach Utröst wolle. „Fahr nur dem Seeraben nach, wenn er aufs offene Meer zufliegt, dann hast du den rechten Kurs“, sagte der Mann, „Glück auf die Reise!“ Aber als Isaak unterwegs war und sich umschaute, sah er kein Utröst mehr; er sah nichts mehr als das Meer weit und breit. Als es Zeit war, fuhr Isaak zur Ausfahrt der Jacht. Aber eine solche Jacht hatte er noch nicht gesehen; sie war zwei Ruf lang, so dass der Ruderknecht es nicht hören konnte, wenn der Steuermann, der im vordersten Ausguck hielt, ihm etwas zurufen wollte. Deshalb hatte man noch einen Mann mitten ins Schiff gesetzt, dicht neben den Mast, der musste den Ruf des Steuermannes dem Ruderknecht zurufen, und auch der musste noch schreien, so sehr er konnte.

Isaaks Teil legten sie in den Vorderteil der Jacht; er nahm selbst die Fische von den Ständern, aber er konnte nicht begreifen, wie das zuging, immer kamen neue Fische auf den Ständer, soviel er auch wegnehmen mochte, und als er wegfuhr, waren sie ebenso voll wie zuvor. Als er nach Bergen kam, verkaufte er seine Fische und bekam so viel Geld dafür, dass er sich eine neue Jacht mit ganzer Ausrüstung und Ladung und allem, was dazugehört, kaufen konnte, denn der Mann riet ihm dazu. Spät am Abend, als er heimfahren wollte, kam der Mann und sagte, er solle die nicht vergessen, die nach seinem Nachbarn lebten, denn er selbst sei gestorben, und dann sagte er dem Isaak Glück und Segen für die Jacht voraus. „Alles ist gut, und alles hält, was in die Luft ragt“, sagte er, und damit meinte er, es sei einer an Bord, den niemand sehe, der aber den Mast mit seinem Rücken stützte, wenn es nötig sei. Isaak hatte seit der Zeit immer Glück. Er merkte wohl, wo das herkam, und vergaß niemals dem, der die Winterwacht hielt, etwas Gutes herzurichten, wenn er die Jacht im Herbst aufs Trockene zog. Und an jedem Juliabend glänze und schimmerte es von der Jacht her, und man hörte Fiedeln und Musik und Lachen und Lärm, und es war Tanz in der verlassenen Jacht.

Märchen aus Norwegen

Stevne = eine Reihe von Schiffen, die zusammen von Nordland nach Bergen fahren, um Fische zu verkaufen.
Jacht = nämlich zu dem Zeitpunkt, wo im Frühjahr, die Schifffahrt wieder beginnt.

Tuesday, December 04, 2012

Die Wichtelmänner


snow-walk


Ein Märchen der Gebrüder Grimm - KHM 039

ERSTES MÄRCHEN

Es war ein Schuster ohne seine Schuld so arm geworden, dass ihm endlich nichts mehr übrig blieb als Leder zu einem einzigen Paar Schuhe. Nun schnitt er am Abend die Schuhe zu, die wollte er den nächsten Morgen in Arbeit nehmen; und weil er ein gutes Gewissen hatte, so legte er sich ruhig zu Bett, befahl sich dem lieben Gott und schlief ein. Morgens, nachdem er sein Gebet verrichtet hatte und sich zur Arbeit niedersetzen wollte, so standen die beiden Schuhe ganz fertig auf seinem Tisch.

Er verwunderte sich und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er nahm die Schuhe in die Hand, um sie näher zu betrachten: sie waren so sauber gearbeitet, dass kein Stich daran falsch war, gerade als wenn es ein Meisterstück sein sollte. Bald darauf trat auch schon ein Käufer ein, und weil ihm die Schuhe so gut gefielen, so bezahlte er mehr als gewöhnlich dafür, und der Schuster konnte von dem Geld Leder zu zwei Paar Schuhen erhandeln. Er schnitt sie abends zu und wollte den nächsten Morgen mit frischem Mut an die Arbeit gehen, aber er brauchte es nicht, denn als er aufstand, waren sie schon fertig, und es blieben auch nicht die Käufer aus, die ihm so viel Geld gaben, dass er Leder zu vier Paar Schuhen einkaufen konnte. Er fand frühmorgens auch die vier Paar fertig; und so ging’s immerfort, was er abends zuschnitt, das war am Morgen verarbeitet, also dass er bald wieder sein ehrliches Auskommen hatte und endlich ein wohlhabender Mann ward. Nun geschah es eines Abends nicht lange vor Weihnachten, als der Mann wieder zugeschnitten hatte, dass er vor Schlafengehen zu seiner Frau sprach 'wie wär’s, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leistet?'

Die Frau war’s zufrieden und steckte ein Licht an; darauf verbargen sie sich in den Stubenecken, hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und gaben Acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine niedliche nackte Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an, mit ihren Fingerlein so behend und schnell zu stechen, zu nähen, zu klopfen, dass der Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig auf dem Tische stand, dann sprangen sie schnell fort.

Am andern Morgen sprach die Frau 'die kleinen Männer haben uns reich gemacht, wir müssten uns doch dankbar dafür bezeigen. Sie laufen so herum, haben nichts am Leib und müssen frieren. Weißt du was? Ich will Hemdlein, Rock, Wams und Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; mach du jedem ein Paar Schühlein dazu.' Der Mann sprach 'das bin ich wohl zufrieden,' und abends, wie sie alles fertig hatten, legten sie die Geschenke statt der zugeschnittenen Arbeit zusammen auf den Tisch und versteckten sich dann, um mit anzusehen, wie sich die Männlein dazu anstellen würden. Um Mitternacht kamen sie heran gesprungen und wollten sich gleich an die Arbeit machen, als sie aber kein zugeschnittenes Leder, sondern die niedlichen Kleidungsstücke fanden, verwunderten sie sich erst, dann aber bezeigten sie eine gewaltige Freude. Mit der größten Geschwindigkeit zogen sie sich an, strichen die schönen Kleider am Leib und sangen:

'Sind wir nicht Knaben glatt und fein?
Was sollen wir länger Schuster sein!'

Dann hüpften und tanzten sie, und sprangen über Stühle und Bänke. Endlich tanzten sie zur Tür hinaus. Von nun an kamen sie nicht wieder, dem Schuster aber ging es wohl, solang er lebte, und es glückte ihm alles, was er unternahm.

Saturday, November 17, 2012

Der Löwe und der Frosch



Es war ein König und eine Königin, die hatten einen Sohn und eine Tochter, die hatten sie herzlich lieb. Der Prinz ging oft auf die Jagd und blieb manchmal lange Zeit draußen im Wald, einmal aber kam er gar nicht wieder. Darüber weinte sich seine Schwester fast blind, endlich, wie sie's nicht länger aushalten konnte, ging sie fort in den Wald und wollte ihren Bruder suchen. Als sie nun lange Wege gegangen war, konnte sie vor Müdigkeit nicht weiter, und wie sie sich umsah, da stand ein Löwe neben ihr, der tat ganz freundlich und sah so gut aus. Da setzte sie sich auf seinen Rücken, und der Löwe trug sie fort und streichelte sie immer mit seinem Schwanze und kühlte ihr die Backen. Als er nun ein gut Stück fortgelaufen war, kamen sie vor eine Höhle, da trug sie der Löwe hinein, und sie fürchtete sich nicht und wollte auch nicht herab springen, weil der Löwe so freundlich war. Also ging's durch die Höhle, die immer dunkler war und endlich ganz stockfinster, und als das ein Weilchen gedauert hatte, kamen sie wieder an das Tageslicht in einen wunderschönen Garten. Da war alles so frisch und glänzte in der Sonne, und mittendrin stand ein prächtiger Palast. Wie sie ans Tor kamen, hielt der Löwe, und die Prinzessin stieg von seinem Rücken herunter. Da fing der Löwe an zu sprechen und sagte: "In dem schönen Haus sollst du wohnen und mir dienen, und wenn du alles erfüllst, was ich fordere, so wirst du deinen Bruder wieder sehen."
Da diente die Prinzessin dem Löwen und gehorchte ihm in allen Stücken. Einmal ging sie in dem Garten spazieren, darin war es so schön, und doch war sie traurig, weil sie so allein und von aller Welt verlassen war. Wie sie so auf und ab ging, ward sie einen Teich gewahr, und auf der Mitte des Teichs war eine kleine Insel mit einem Zelt. Da sah sie, dass unter dem Zelt ein grasgrüner Laubfrosch saß, und hatte ein Rosenblatt auf dem Kopf statt einer Haube. Der Frosch guckte sie an und sprach: "Warum bist du so traurig?" "Ach", sagte sie, "warum sollte ich nicht traurig sein?" Und klagte ihm da recht ihre Not. Da sprach der Frosch ganz freundlich: "Wenn du was brauchst, so komm nur zu mir, so will ich dir mit Rat und Tat zur Hand gehen." "Wie soll ich dir das aber vergelten?" "Du brauchst mir nichts zu vergelten", sprach der Quakfrosch, "bring mir nur alle Tage ein frisches Rosenblatt zur Haube." Da ging nun die Prinzessin wieder zurück und war ein bisschen getröstet, und sooft der Löwe etwas verlangte, lief sie zum Teich, da sprang der Frosch herüber und hinüber und hatte ihr bald herbeigeschafft, was sie brauchte. Auf eine Zeit sagte der Löwe: "Heut Abend äß ich gern eine Mückenpastete, sie muss aber gut zubereitet sein." Da dachte die Prinzessin, wie soll ich die herbeischaffen, das ist mir ganz unmöglich, lief hinaus und klagte es ihrem Frosch. Der Frosch aber sprach: "Mach dir keine Sorgen, eine Mückenpastete will ich schon herbeischaffen." Darauf setzte er sich hin, sperrte rechts und links das Maul auf, schnappte zu und fing Mücken, soviel er brauchte. Darauf hüpfte er hin und her, trug Holzspäne zusammen und blies ein Feuer an. Wie's brannte, knetete er die Pastete und setzte sie über Kohlen, und es währte keine zwei Stunden, so war sie fertig und so gut, als einer nur wünschen konnte. Da sprach er zu dem Mädchen: "Die Pastete kriegst du aber nicht eher, als bis du mir versprichst, dem Löwen, sobald er eingeschlafen ist, den Kopf abzuschlagen mit einem Schwert, das hinter seinem Lager verborgen ist." "Nein", sagte sie, "das tue ich nicht, der Löwe ist doch immer gut gegen mich gewesen." Da sprach der Frosch: "Wenn du das nicht tust, wirst du nimmermehr deinen Bruder wieder sehen, und dem Löwen selber tust du auch kein Leid damit an." Da fasste sie Mut, nahm die Pastete und brachte sie dem Löwen. "Die sieht ja recht gut aus", sagte der Löwe, schnupperte daran und fing gleich an reinzubeißen, aß sie auch ganz auf. Wie er nun fertig war, fühlte er eine Müdigkeit und wollte ein wenig schlafen; also sprach er zur Prinzessin: "Komm und setz dich neben mich und krau mir ein bisschen hinter den Ohren, bis ich eingeschlafen bin." Da setzt sie sich neben ihn, kraut ihn mit der Linken und sucht mit der Rechten nach dem Schwert, welches hinter seinem Bette liegt. Wie er nun eingeschlafen ist, so zieht sie es hervor, drückt die Augen zu und haut mit einem Streich dem Löwen den Kopf ab. Wie sie aber wieder hinblickt, da war der Löwe verschwunden, und ihr lieber Bruder stand neben ihr, der küsste sie herzlich und sprach: "Du hast mich erlöst, denn ich war der Löwe und war verwünscht, es so lang zu bleiben, bis eine Mädchenhand aus Liebe zu mir dem Löwen den Kopf abhauen würde." Darauf gingen sie miteinander in den Garten und wollten dem Frosch danken, wie sie aber ankamen, sahen sie, wie er nach allen Seiten herumhüpfte und kleine Späne suchte und ein Feuer anmachte. Als es nun recht hell brannte, hüpfte er selber hinein, und da brennt's noch ein bisschen, und dann geht das Feuer aus und steht ein schönes Mädchen da, das war auch verwünscht worden und die Liebste des Prinzen. Da ziehen sie miteinander heim zu dem alten König und der Frau Königin, und wird eine große Hochzeit gehalten, und wer dabei gewesen, der ist nicht hungrig nach Haus gegangen.
Märchen der Brüder Grimm

Wednesday, October 03, 2012

Die Wunderblume

Aster "Rosenwichtel"
Das war einmal eine Hochzeit — ich war auch dabei. Ich trug ein zuckernes Kamisol, aus Zucker waren meine Hosen und meine Weste, aus Glas meine Stiefel, aus Bernstein meine Mütze. Ich ging hinaus, ein feiner Regen tropfte, da schmolzen meine Kleider, und ich war kahl. Da stieg ich die Treppe hinauf und zerschlug mir meine gläsernen Stiefel; bei den Gästen konnte ich mich nun nicht mehr sehen lassen, ich ging also in die Küche. Im Ofen wurde eben ein Braten gar. Da schlich ich hin, machte mich an den Braten und aß so lange, bis ich ihn ganz verspeist hatte; da war ich so dick wie lang. Der Koch kam, nach dem Braten zu sehen, er fand ihn nicht. Da packte er mich in seinem Zorn, lud mich als Pfropfen in eine Kanone und schoss mich hierher. Aber wenn ihr es nicht glauben wollt, so schaut her, ich habe noch in jedem Hosenbein ein Loch.

Märchen aus Lettland

Wednesday, September 12, 2012

Die Schwanenfrau



Eine arme Frau hatte einen Sohn, der war nun groß und stark und wollte in die Fremde gehen, um etwas zu verdienen. Er verdingte sich bei einem Herrn auf ein Jahr und sollte dessen Schafe hüten. Als er einmal zur Zeit der Ernte auf dem Felde war, sah er einen schönen weißen Vogel im Kornfelde; er lief hin, um ihn zu fangen; der Vogel aber erhob sich langsam und flog in einen Wald; der Junge lief ihm immer nach, doch es war umsonst, er konnte ihn nicht erreichen. Er wollte umkehren; aber er wusste sich aus dem Wald nicht mehr herauszufinden. Schon fing es an dunkel zu werden, da sah er in der Ferne ein Licht; er ging darauf los und kam in ein Schloss; da saß ein alter Mann am Feuer und kochte sich eine Suppe. Der Junge bat um Herberge und erzählte dem Alten, wie er in den Wald gekommen sei. ,,Wenn du mir ein Jahr treu dienst, so will ich dir zu dem Vogel verhelfen!" Der Junge willigte gern ein, um den Vogel zu bekommen.
Am folgenden Morgen sprach der Alte: ,,Jetzt gehe ich aus und kehre nur spät abends heim; sorge du hier; da hast du alle Schlüssel, in jedes Zimmer darfst du gehen, nur in das letzte nicht!" Der Junge folgte genau dem Gebot, und als der alte Mann abends heimkehrte, war er mit ihm zufrieden; so geschah es auch den andern und alle folgenden Tage, dass der Alte ausging und dem Jungen den nämlichen Auftrag machte. Lange Zeit dachte der Junge nicht einmal an das verbotene Zimmer; aber in der letzten Woche des Jahres kam ihn doch die Neugierde an: ,,Du bist ein ganzes Jahr hier gewesen und ziehst nun bald von dannen und sollst nicht wissen, was für Schätze dort sind", sprach er bei sich, und es ließ ihm keine Ruhe. Am letzten Tage ging er bis zur Türe und wollte auch nicht. Endlich steckte er den Schlüssel ein und öffnete.
Da war ein großer Saal und in der Mitte ein blauer Teich und darüber der freie Himmel; im Teiche aber waren drei wunderschöne Schwanenjungfrauen, die badeten. Kaum hatten sie den Jungen erblickt, husch, flogen sie alle drei als weiße Schwäne auf und fort. Voll Angst kehrte der Junge zurück und hatte keine Ruhe. Als der alte Mann heimkam, fiel er gleich vor ihm nieder und sprach: ,,Herr, strafe mich, ich habe dein Gebot übertreten!" Der Alte sagte freundlich: ,,Weil du deinen Fehler gestanden hast und bereuest, will ich dir verzeihen; aber du musst jetzt noch ein Jahr treu dienen, willst du den Vogel haben." Da fiel es dem Jungen wie ein Stein vom Herzen; gern willigte er ein, und von nun an hatte die Neugierde keine Gewalt mehr über ihn.
Als das Jahr vergangen war, trat der Alte zu ihm und sprach: ,,Jetzt folge mir!" Er führte ihn in das verbotene Zimmer, da waren die drei wunderschönen Jungfrauen und badeten. Alsbald aber verwandelten sie sich in weiße Schwäne, hoben sich aufwärts und flogen fort. Der alte Mann fragte den Jungen, welche ihm am besten gefallen habe. ,,Die Jüngste!" sprach er. ,,Wohlan, so gehe heute abends in jenes Zimmer; da findest du unter dem Bett drei Schachteln; bringe die, welche in der Ecke liegt, dann zu mir." Der Junge konnte den Abend kaum erwarten, eilte dann hin und brachte sie. ,,So nimm jetzt diese Schachtel und gehe damit nach Hause, die auserwählte Jungfrau wird dir auf dem Fuße folgen; aber siehe ja nicht hinter dich, bis du zu Hause angelangt bist; dann magst du mit der Jungfrau bei deiner Mutter Hochzeit halten; aber besorge die Schachtel wie deinen Augapfel, und nicht unterstehe dich und gib sie deiner Braut in die Hand, wie sehr sie dich auch bittet, sonst verlierst du sie auf immer!" Der Junge versprach alles so zu machen. Das erste wurde ihm leicht; er sah nicht zurück, obgleich er gern gewollt hätte; denn er hatte ja für die Neugierde hart gebüßt, und daran dachte er jetzt.
Als er endlich daheim war bei seiner Mutter, wandte er sich rasch um und sah die Jungfrau, fiel ihr um den Hals und küßte sie. Sie aber hatte ein schneeweißes Kleid an und war schön wie der heitere Tag, und der Junge konnte sich nicht sattsehen an ihr. Da wurde die Verlobung gehalten, und der Junge war ganz selig; aber die Jungfrau war traurig und niedergeschlagen. Der Junge gab sich alle erdenkliche Mühe, sie zu erheitern, doch umsonst. ,,0 was gäbe ich nicht dafür, wenn ich dich jetzt fröhlich sähe!" sprach er zuletzt. ,,So gib mir meine schönen Kleider, die in der Schachtel sind!"
Da wurde der Junge bleich vor Schrecken; wie hatte er so unbesonnen und töricht versprochen, was zu seinem Unglück führen sollte. Er zögerte lange, lange; endlich siegte die Treue und übergroße Liebe zu seiner Braut. Er überredete und tröstete sich auch: ,,Das wird doch nicht gleich ihr Tod sein!" sprach er bei sich, ,,und fort soll sie mir auch nicht können", denn er verschloss vorsichtig alle Türen und Fenster. Kaum hatte er die Schachtel geöffnet und sie das Kleid hastig ergriffen und umgeworfen, so war sie sogleich ein Schwan und flog durch den Ofen zum Schornstein hinaus. Da ergriff den Jungen ein unendlicher Schmerz; er lief hinaus, sah dem Vogel nach und eilte in einem fort bis in den Wald zu dem alten Manne und klagte ihm seinen Jammer. ,,Ist sie nicht hier", sprach er zuletzt, ,,so sage mir, wo ich sie finden kann; ich will sie suchen bis ans Weltende, denn ich habe sie gar zu lieb!" Da sagte der Alte; ,,Sie ist weit weg auf einer Insel über dem Meer und wird von einem siebenhäuptigen Drachen bewacht, und dahin ist schwer hinzukommen; wenn du aber auch hingelangen solltest, wird dich der Drache umbringen!" Aber der Junge ließ sich nicht abschrecken; er nahm alle seine Kleider und Schuhe mit und wanderte sieben Jahre lang in einem fort und hatte schon alle Kleider und Schuhe zerrissen und konnte vor Müdigkeit nicht weiter; aber noch war weit und breit kein Meer zu sehen. Er fiel an einem Hügel nieder und gedachte schon da zu sterben. Da hörte er nur einmal in der Ferne einen Lärm, der kam immer näher und näher; endlich sah er drei mächtige Hünen, welche einander hin und herzerrten. Er fragte sie alsbald, was Ursache ihr Streit hätte. ,,0h", sagten sie, ,,es handelt sich um das Kostbarste in der Welt, um einen Mantel, der unsichtbar macht den, der ihn trägt, um einen Hut, der überall hinführt den, der ihn aufsetzt, und um ein Schwert, womit der alles besiegen kann, der es schwingt. Wer diese drei Stücke besitzt, kann die schönste Jungfrau, die auf der Insel über dem Meer gefangen liegt, erretten und mit ihr das größte Königreich erwerben." Der Junge freute sich auf diese Nachricht wieder in seinem Herzen und hegte Hoffnung. ,,Wenn es euch recht ist, so will ich den Streit entscheiden; bringt her jene Stücke und kämpfet ihr dann miteinander." Die einfältigen Hünen brachten sogleich Mantel, Hut und Schwert zu ihm hin und fielen nun einander in die Haare. Der Junge ergriff schnell das Schwert, warf den Mantel um und setzte den Hut auf und sprach: ,,Wäre ich doch nur gleich auf der Insel!" Husch! war er fort, und die dummen Hünen hatten das Nachsehen.
Als der Junge auf der Insel ankam, legte er Hut und Mantel ab, nahm nur das Schwert und ging auf die Burg los. Der Drache sonnte sich eben vor derselben, und die schöne Jungfrau musste ihn lausen. Nur einmal roch der Drache Menschenfleisch, da brauste er auf und ringelte sich vor Wut. Aber der Junge kam unerschrocken heran und hieb ihm auf einmal alle Häupter ab. Er hüllte sich darauf schnell wieder in seinen Mantel, eilte ins Schloss, nahm die Schachtel mit den Kleidern und warf sie ins Meer, dann legte er den Mantel ab und zeigte sich der Jungfrau, seiner Braut, und die erkannte ihn auch gleich und war nun über die Maßen froh. Der Junge zog mittelst des Wunschhutes schnell zu seiner Mutter und brachte sie auch nach der fernen Insel in die Drachenburg; dann feierte er mit seiner Braut in Lust die Hochzeit und war König und Herr über alles Land und alle Schätze, welche der Drache besessen hatte.