Quelle:
Hahn,
J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2.
München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 154-163.
Die
beiden ältesten Töchter, welche gut verheiratet waren, machten ihren Eltern
häufig Besuche und auch diese besuchten sie in ihren Häusern. Aber die jüngste
Tochter, welche schlecht verheiratet war, wollte keiner ihrer Verwandten
besuchen, und als sie dies merkte, zog auch sie sich von ihnen zurück, und so
kam es, dass zwölf Jahre vergingen, ohne dass sie ihre Eltern und Schwestern
sah.
In
dieser Zeit hatte aber die Jüngste dem Bademeister ein Töchterchen geboren, und
so oft dieses weinte, wurden ihre Tränen zu Perlen, und so oft es lachte,
fielen Rosen von ihrem Munde, und als sie laufen konnte, fiel ihr bei jedem
Tritte ein Edelstein von dem Fuße. Diese sammelte ihre Mutter und hob sie auf,
und eines Tags gab sie davon ihrem Manne einen Korb voll, um sie auf dem Markte
zu verkaufen. Der Bademeister wusste nicht, was sie wert waren, und nahm dafür,
was man ihm gab; gleichwohl aber war das so viel, dass er drei Lasttiere nötig
hatte, um all' sein Gold nach Hause zu schaffen.
Nach
einer Weile sagte seine Frau zu ihm: »gehe hin und erkundige dich nach dem
Kreuzwege, auf dem die Königs- und Fürstensöhne zur Jagd reiten.« Als er den
Ort erfahren hatte, befahl sie ihm Werkleute zu rufen, die dort ein Schloss
bauen sollten, und als diese zu ihr kamen, sagte sie zu ihnen: »Ihr sollt mir
an jenem Kreuzwege ein Schloss bauen, und das soll von außen und innen von
lauter Gold sein, und goldene Fenster und Türen haben und so schön anzusehen
sein, dass, wenn die Prinzen daran vorüber reiten, sie vor Verwunderung ach!
und oh! rufen, und das soll in vierzehn Tagen fertig sein.« Die Werkleute
machten sich also an die Arbeit und brachten das Schloss in vierzehn Tagen zu
Stande, und als es fertig war, nahm die Prinzessin ihren Mann und ihre Tochter
und zog hinein.
Nach
einiger Zeit kamen ihre Schwestern des Weges, um ihre Eltern zu besuchen, und
als sie das neue Schloss erblickten, wunderten sie sich über dessen Schönheit
und Pracht. Sie fragten also den König, wem dieses Schloss gehöre; doch der
wusste es nicht, und seine Hofleute wussten es auch nicht, sie aber ruhten
nicht eher und fragten so lange in der Stadt herum, bis sie herausbrachten,
dass das Schloss ihrer jüngsten Schwester gehöre. Darauf schickten sie eine von
ihren Mägden zu ihr, um anzufragen, ob sie den Besuch ihrer Schwestern annehmen
wolle, und als die Jüngste die Botschaft hörte, da seufzte sie und sprach: »sie
sollen willkommen sein.«
Die
beiden Schwestern machten sich sogleich auf, und als sie an die Tür des
Schlosses kamen, empfing sie dort die Bademeisterin mit ihrer Tochter, und als
diese ihre Tanten anlächelte, fielen ihr Rosen vom Munde. Als ihr aber die
Mutter einen Schlag gab, weil sie ihren Tanten nicht die Hände küsse, da weinte
sie, und ihre Tränen fielen als Perlen zur Erde, und wie sie die Treppe des
Schlosses hinaufstiegen, lag unter jedem Tritte des Mädchens ein Edelstein. Die
Bademeisterin aber hob die Rosen und Perlen vom Boden auf und gab die Rosen
ihrer ältesten Schwester und die Perlen der zweiten. Sie blieben lange Zeit bei
ihrer Schwester, und als sie zu dem König zurückkamen, erzählten sie ihm, was
sie gesehn hatten, und sprachen: »welches Glückskind ist doch unsere Schwester!
wir hielten sie für unglücklich, als sie den Bademeister zum Manne bekam, und
siehe da, nun ist sie viel besser daran als wir selbst.«
Als
das Mädchen fünfzehn Jahr alt war, schickte ein Prinz, der das einzige Kind
seiner Mutter war und in fernen Landen wohnte, ein Schreiben an ihren Vater, in
dem er seine Tochter zur Ehe begehrte, weil der Ruf ihrer Schönheit bis in sein
Land gedrungen war. Die Boten kamen zu dem goldenen Schlosse und fanden den
Bademeister unter dem Tore stehn; sie richteten ihm also ihren Auftrag aus und
übergaben ihm das Schreiben. Als er dieses gelesen, ließ er die Boten stehn,
und ging zornig hinauf zu seiner Frau. Die aber fragte ihn: »was hast du, dass
du so zornig bist? Als du noch Taglöhner warst, bist du niemals zornig gewesen,
und nun willst du es werden, wo wir im Glücke schwimmen?« Da antwortete dieser:
»warum soll ich nicht zornig werden, Frau? der Königssohn aus jenem fernen
Lande verlangt unsere Tochter zur Ehe.« Die Frau aber rief: »Was, ein
Königssohn verlangt unsere Tochter und darüber wirst du zornig? und wenn er am
Ende der Welt lebte, so gebe ich sie ihm. Ich war eine Königstochter und habe
einen Bademeister genommen, und ich sollte meine Tochter nicht in die Fremde
geben, wenn sie einen Königssohn heiraten kann! Gleich gehe hin, und lade den
Prinzen ein, hierher zu kommen und die Sache richtig zu machen.« Da ging der
Bademeister zu den Boten und sprach: »Der Antrag des Prinzen ist angenommen,
und er kann kommen, wann er will, und sie heimführen.«
Der
Prinz ließ nicht lange auf sich warten, und als er das Mädchen sah, verlor er
schier den Verstand über ihre Schönheit und die Schätze, welche von ihr fielen,
und als er eine Zeit lang dort geblieben war, wollte er wieder in sein Reich
zurückkehren und das Mädchen heimführen.
Da
machte die Mutter eine große Menge Gebäck und Süßigkeiten zurecht, das ihrer
Tochter während der Reise als Mundvorrat dienen sollte; die Amme der Braut aber
machte ein großes Bretzelbrot und tat eine Masse Salz hinein und sagte zu der
Braut: »wenn dich deine Mutter fragt, wen sie dir mitgeben solle, so sage: ich
will niemand anders als meine Amme und deren Tochter«, und die Braut tat, wie
ihr die Amme geheißen hatte.
Darauf
brach der Prinz mit seiner jungen Frau, der Amme und ihrer Tochter auf, um in
sein Königreich zurückzukehren. Unterwegs gab die Amme der jungen Frau nichts
von den Süßigkeiten ihrer Mutter, sondern nur von dem Bretzelbrote, das sie
gemacht hatte und das so salzig war, dass die Frau bald durstig wurde, und nach
Wasser verlangte. Doch die Amme antwortete, »dass es in diesem Lande gar kein
Wasser gebe.« Als es nun die junge Frau vor Durst nicht mehr aushalten konnte
und immer dringender nach Wasser rief, weil sie sonst verdursten müsse, da
sprach die Amme: »In diesem Lande ist das Wasser so kostbar, dass du einen
Trunk mit einem deiner Augen bezahlen musst.« In der Verzweiflung riss sich die
junge Frau ein Auge aus und gab es der Amme, und nach einer Weile brachte ihr
die Amme dafür ein wenig Wasser. Als sie wieder eine Strecke gezogen waren, da
begann es die Frau wiederum zu dürsten, und sie verlangte wiederum Wasser von
ihrer Amme. Diese verlangte nun ihr zweites Auge dafür, und als es die Frau vor
Durst nicht mehr aushalten konnte, riss sie sich auch das andere Auge aus und
gab es der Amme für einen Trunk Wasser. Darauf zog die Amme der Blinden ihre
schönen Kleider aus und schmückte ihre eigene Tochter damit, und als sie fertig
war, stieß sie die arme Blinde aus dem Wagen und fuhr weiter, ohne sich um sie
zu bekümmern, und kam mit ihrer Tochter allein in der Stadt des Prinzen an.
Dort wurden sie feierlichst empfangen, und der Prinz nahm die Tochter der Amme
bei der Hand, führte sie in das Schloss ein, und merkte auf, ob ihr nicht eine
von den Kostbarkeiten entfalle, wie er es früher gesehn hatte; aber es fiel
nichts und er begann misstrauisch zu werden und dachte, dass es nicht mit
rechten Dingen zugehe. Er nahm also die Amme bei Seite und sagte zu ihr: »wie
kommt es, dass sie geht, ohne dass Edelsteine unter ihren Tritten liegen, und
dass sie lacht, ohne dass ihr Rosen aus dem Munde fallen?« Die Amme aber
erwiderte: »sie ist nun müde von der Reise, lass ihr nur Zeit, sich gehörig
auszuruhen, und dann sollst du sehn, dass es wieder Rosen und Perlen und
Edelsteine regnen wird wie vorher.« »Gut«, sagte darauf der Prinz, »aber ich
kann es nicht recht glauben.«
Die
arme Blinde irrte unterdessen in den Wäldern und Einöden umher und traf zu
ihrem Glücke auf ein altes Mütterchen, das Kräuter sammelte, um sie zu kochen
und zu essen; sie ließ sich mit der Alten in ein Gespräch ein, und als sie
hörte, dass sie so arm sei, dass sie von Kräutern lebe, sprach sie: »Höre
Mütterchen, du kannst was Besseres tun als Kräuter sammeln, wenn du alle Steine
aufliesest, welche von meinen Füßen fallen, und sie verkaufst, und von dem
Gelde, was du dafür erhältst, Essen anschaffst und auch mir davon gibst.«
Als
das die Alte hörte, ward sie sehr froh und las, so schnell sie konnte, alle
Steine auf, die von der Blinden fielen, ging damit in die Stadt und verkaufte
sie und brachte der Blinden eine ganze Schürze voll Gold. »Sieh, mein Kind«,
rief sie, »ich habe dir eine ganze Schürze voll Gold gebracht.« Da lächelte die
Blinde und sogleich fiel eine Rose aus ihrem Munde; die gab sie der Alten und
sprach: »da nimm die Rose und frage, wo die und die Stadt liegt, und gehe
dorthin, und wenn du hinkommst, so gehe vor das Königsschloss und rufe, so laut
du kannst: kauft Rosen! und wenn man dich fragt, wie viel Geld du dafür
verlangst, so sage, dass sie dir nicht für Geld, sondern nur für Augen feil
seien.«
Die
Alte tat, wie ihr die Blinde geheißen, sie ging in jene Stadt und zum
Königsschlosse und rief, so laut sie konnte: »kauft Rosen! kauft Rosen!« Als
das die Amme hörte, kam sie heraus und rief der Alten zu: »He, Mütterchen, was
willst du für die Rose?« und diese versetzte: »ich will kein Geld, sondern ein
Auge dafür.« Darauf bot ihr die Amme eine Hand voll Goldstücke, aber die Alte
wollte sie nicht annehmen, und tat, als ob sie weggehen wollte. Da rief sie die
Amme zurück und sagte ihr, sie solle ein bisschen warten, bis sie wiederkäme;
dann lief sie in das Schloss, stach der Hündin ein Auge aus, brachte es der
Alten und erhielt von ihr die Rose.
Als
der Prinz nach Hause kam, zeigte ihm die Amme die Rose und sagte: »siehst du,
jetzt, wo deine Frau sich ausgeruht hat, fallen ihr auch wieder Rosen aus dem
Munde.« »Schön! schön!« sagte darauf der Prinz, »aber ich kann es nicht recht
glauben.«
Die
Alte kehrte voller Freuden nach Hause zurück; unterwegs aber wischte ihr das
Auge aus der Hand, lief allein zu der Blinden voraus und sprang in deren Hand,
und sie nahm es, setzte es sich ein und sah nun wieder mit einem Auge. Darauf
kam auch die Alte an und machte ein betrübtes Gesicht, und als die Blinde sie
fragte, was ihr fehle, sagte sie: »ach Töchterchen, ich hatte für deine Rose
ein Auge bekommen; es ist mir aber unterwegs aus den Fingern entwischt und ich
habe es nicht wieder finden können.« Da lachte die Blinde und es fiel ihr
wieder eine Rose aus dem Munde; die gab sie der Alten und sprach: »nimm diese
Rose und gehe wieder in dasselbe Schloss und verkaufe sie wieder für ein Auge.«
Die
Alte tat, wie ihr geheißen, und als die Amme sie vor dem Schlosse rufen hörte,
stach sie der Hündin auch das andere Auge aus, brachte es der Alten und erhielt
dafür die Rose. Die Alte aber brachte das Auge der Blinden, und als diese es
eingesetzt hatte, sah sie wieder mit beiden Augen.
Nach
einer Weile sagte die junge Frau zu der Alten: »gehe hin und frage, wo der
Kreuzweg ist, an dem die Königs- und Fürstensöhne vorüber müssen, wenn sie zur
Jagd reiten«; und als die Alte den Kreuzweg erfragt hatte, schickte die junge
Frau sie von neuem nach den besten Werkleuten aus. Zufälliger Weise stieß die
Alte bei ihren Nachfragen nach den besten Werkleuten auf denselben Meister, der
das Schloss ihrer Eltern gebaut hatte. Bei dem bestellte die junge Frau ein
ebenso schönes Schloss, wie er es für ihre Eltern gebaut hatte, und sagte, dass
es in dreißig Tagen fertig sein müsse, und so schön sein solle, dass alle
Königs- und Fürstensöhne, die daran vorüber ritten, vor Verwunderung ach! und
oh! rufen und an das Tor klopfen müssten.
Als
das Schloss in der vorgeschriebenen Zeit fertig war, nahm die junge Frau die
Alte mit sich und zog in dasselbe ein. Am andern Tag ritten mehrere Fürstensöhne
zusammen auf die Jagd, und als sie das wunderschöne Schloss erblickten, das sie
noch niemals gesehen hatten, wunderten sie sich sehr darüber, und klopften an
das Tor, aber es wurde ihnen nicht aufgemacht. Da erkundigten sie sich aller
Wege, welcher Fürst sein Reich verlassen und sich in der Einöde ein solches
Schloss erbaut hätte, aber Niemand konnte ihnen Auskunft geben. Endlich drang
der Ruf von dem schönen verlassenen Schlosse auch zu dem Manne der jungen Frau,
und machte so großen Eindruck auf ihn, dass er zu seiner Mutter sagte: »Mutter,
ich muss hin und sehen, was es mit dem Schlosse für eine Bewandtnis hat.« Diese
aber redete ihm zu, er solle nun zu Hause bleiben, denn es schicke sich nicht
für ihn, jetzt, da er kaum geheiratet habe, auf Abenteuer auszugehen und das
Königreich seinem Schicksal zu überlassen. Er aber blieb auf seinem Kopfe,
wählte sich eine Schaar auserlesener Gefährten und ritt zu dem Schlosse.
Als
er dort ankam, klopfte er nicht an, um Einlass zu verlangen, sondern stieg zu
einem Fenster hinauf, zerbrach eine Scheibe und schlüpfte durch die Öffnung in
das Schloss. Nachdem er durch eine Reihe von Gemächern gegangen war, ohne
irgendjemand anzutreffen, fand er in dem letzten die junge Frau auf einem
goldenen Bett ausgestreckt, und als er eintrat, sprang sie auf und fragte ihn:
»wie bist du hierhergekommen? wer hat dich eingelassen?« Er aber antwortete:
»ich bin in deiner Gewalt, mache mit mir, was du willst.« Sie fragte ihn
darauf, wer er sei und woher er käme, und als sie hörte, dass er der einzige
Sohn seiner Eltern sei, da erinnerte sie sich, dass auch sie das einzige Kind
ihrer Eltern wäre, und dabei fiel ihr eine Träne aus den Augen und ward zur
Perle. Wie der Prinz das sah, sagte er bei sich: »das kann keine andere als
meine Frau sein«, und darum bat er sie um einen Becher Wasser, weil er sehr
durstig sei. Als sie nun aufstand und zur Türe ging um der Alten zu rufen, da
fielen Edelsteine von ihren Füßen, und als das Wasser kam und sie es ihm
reichte, lächelte sie, und da fiel eine Rose aus ihrem Munde. Wie nun der Prinz
auch diese sah, da hielt er sich nicht länger und rief: »du bist meine Frau«,
und nun erzählte sie ihm, wie es ihr ergangen sei, und was sie von der bösen
Amme erduldet hatte.
Der
Prinz schickte nun einen Boten an seine Mutter und ließ ihr alles melden, was
sich begeben hatte. Der kam aber die Botschaft so unglaublich vor, dass sie
selbst nach dem goldenen Schlosse kam, um sich von der Wahrheit zu überzeugen.
Sie blieb dort eine Weile mit ihren Kindern, dann aber trieb sie zum Aufbruche,
weil das Königreich nicht so lange ohne Regierung bleiben könne.
Für
die Reise wollte die junge Frau ihre goldenen Kleider nicht anlegen und
vertauschte sie mit einem groben Gewande. Als sie nun nach Hause kamen, da
gingen ihnen die Amme und ihre Tochter bis vor das Tor entgegen, aber Mutter
und Sohn gingen an ihnen vorüber und sagten weiter nichts, als: »guten Tag.«
Als nun die Amme auch die verkleidete Frau sah, da rief sie: »o du meine Seele!
kannst du nicht mit deiner jungen Frau zufrieden sein?« Die wahre Frau hörte
das mit an, sprach aber kein Wort, und als ihr der Königssohn sagte, dass er
die beiden Weiber am Abend zu Kochstücken hauen würde, da bat sie sogar für ihr
Leben.
Doch
der Prinz blieb auf seinem Willen und sie bat ihn also, er möge es wenigstens
so abmachen, dass sie nichts davon höre. Darauf befahl der Prinz in einem
abgelegenen Teil des Schlosses für ihn und die Königin ein Nachtlager zu
bereiten. Als das die Amme hörte, freute sie sich und ließ das allerschönste
Bettzeug aufbereiten. Kaum aber war ihre Tochter mit dem Prinzen in das
Schlafgemach getreten, so ergriff er sie und hieb sie in Stücke, und als die
Amme, die vor der Türe stand, auf das Geschrei ihrer Tochter herbeistürzte,
machte er es ihr ebenso. Darauf nahm er seine wahre Frau, und damit ist das
Märchen zu Ende.